PROJEKT EYEMATICS​​

In Deutschland treten jährlich etwa 10.000 neue Erblindungen auf, was einer Inzidenz von 12,3 pro 100.000 Einwohner pro Jahr entspricht. Allein 50 % der Erblindungen sind auf die altersbedingte Makuladegeneration und 17 % auf die Folgen der diabetischen Retinopathie zurückzuführen. Die Wahrscheinlichkeit an eine dieser Augenkrankheiten zu erleiden nimmt mit dem Alter deutlich zu. Durch die steigende Lebenserwartung wird damit auch die Zahl der blinden oder sehbehinderten Menschen zunehmen und der Bedarf an augenmedizinischer Versorgung steigen. Die genannten Augenerkrankungen haben die Gemeinsamkeit, dass sie mit der sogenannten intravitreale operative Medikamentenapplikation (IVOM) therapiert werden können. Bei der intravitrealen Injektion wird ein Medikament direkt in den Glaskörper des Auges verabreicht. Das Ziel ist die Erhaltung oder Verbesserung des Sehvermögens. Darüber hinaus ist die IVOM der häufigste medizinische Eingriff in Deutschland und wird etwa 1.000.000 Mal pro Jahr durchgeführt. Die Injektionen müssen mehrmals durchgeführt werden. Die Strategien für die bestmöglichen Behandlungsintervalle sind jedoch außerhalb von klinischen Studien (also in der „realen Welt“) noch nicht ausreichend untersucht worden. Die Situation innerhalb unseres Konsortiums hinsichtlich unterschiedlicher Behandlungsschemata ist beispielhaft für Deutschland: An den Universitätskliniken in Tübingen und Münster werden die IVOM-Behandlungen in der Regel in Serien von drei aufeinanderfolgenden Injektionen nach dem so genannten pro-re-nata-Schema geplant, während in Greifswald und Aachen ein Teil der IVOM-Patienten nach dem treat-and-extend-Schema mit Einzelinjektionen und individuell angepassten Behandlungsintervallen behandelt werden. Erste Praxisauswertungen haben gezeigt, dass die Behandlungsergebnisse in Deutschland nicht mit den veröffentlichten guten Studienergebnissen übereinstimmen, während die Patientenergebnisse in anderen Ländern wie Großbritannien und Frankreich deutlich besser zu sein scheinen. In Deutschland fehlt es an einer multizentrischen Datenerhebung von realen Behandlungsdaten, die eine detaillierte Analyse und damit eine verbesserte Patientenversorgung ermöglicht. Ziel des Projektes „EyeMatics“ ist es, klinische Daten von Patienten mit häufig auftretenden Augenkrankheiten, die eine IVOM-Therapie erhalten, für die wissenschaftliche Auswertung zugänglich zu machen, um eine Verbesserung der Patientenversorgung zu erzielen. EyeMatics kombiniert dafür einzelne Datenquellen aus verschiedenen stationären und ambulanten Versorgungssystemen und macht diesen Datenschatz standortübergreifend erschließbar. Als Beispiel für eine sinnvolle Datenaufbereitung und Nutzung im Versorgungskontext wird ein klinisches Dashboard an jedem Standort eingeführt. Das Gesamtziel des Projektes soll durch die Erreichung der folgenden Teilziele realisiert werden:
  • Erstmalige Bereitstellung eines Kerndatensatzes für den Austausch medizinischer Patientendaten in der Augenheilkunde, um die standortübergreifende Datenerfassung und -analyse zu harmonisieren,
  • Demonstration einer funktionsfähigen, den Datenschutz wahrenden Infrastruktur für die Speicherung und den Austausch von Daten für diesen Datensatz,
  • Integration funktionaler automatisierter Mechanismen zur Datenextraktion und -zusammenführung,
  • Einrichtung eines Dashboards als Datenvisualisierungs- und -analyseplattform,
  • Routinemäßige Erfassung und Analyse von Patient Reported Outcomes (PRO) und Integration dieser Ergebnisse in das klinische Dashboard,
  • Entwicklung von KI-Tools zur Überwachung und Vorhersage des Krankheitsverlaufs und des Behandlungserfolgs auf Grundlage des Kerndatensatzes und OCT-Daten und Integration dieser Ergebnisse in das klinische Dashboard,
  • Nachweis eines effizienten Rollouts durch die Anbindung zweier weiterer Standorte, einer weiteren Universitätsklinik und einer nicht-universitären Klinik der tertiären Versorgung sowie
  • Einbindung der Ergebnisse in die Stellungnahmen der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft.

ARBEITSPAKETE

AP01 – Projektmanagement und Wissenschaftskommunikation

Dieses Arbeitspaket umfasst die Koordination der Arbeit aller beteiligten Projektpartner und die Kommunikation mit ihnen, die Organisation und Durchführung regelmäßiger Projekttreffen, die Projektdokumentation, die Berichterstattung und die Öffentlichkeitsarbeit sowie die Kommunikation mit dem Projektsponsor. Darüber hinaus wird die Wissenschaftskommunikation eine wichtige Aufgabe sein, um den Erkenntnisgewinn und den Patientennutzen darzustellen. Alle Projektpartner, einschließlich der beratenden Mitglieder und Roll-Out-Partner, sind an diesem Arbeitspaket beteiligt, um eine enge Zusammenarbeit zu gewährleisten.

AP02 – Ethik, Datenschutz und IT-Sicherheit

Dieses Arbeitspaket beinhaltet die Entwicklung und schrittweise Anpassung des Datenschutz- und IT-Sicherheitskonzepts. Ein Workflow zur Erhebung des Broad Consent inklusive Zusatzmodulen soll an allen Standorten in den jeweiligen Augenkliniken etabliert werden. Zur rechtlich einwandfreien Durchführung des Projektes wird ein Votum der zuständigen Ethikkommissionen und des Use and Access Komitees (UACs) eingeholt.

AP03 – Datenmanagement und Interoperabilität

Im Projekt soll ein Kerndatensatz für die Augenheilkunde als MII-Erweiterungsmodul „Ophthalmologie“ entwickelt werden. Dieser bildet die Grundlage des Projektes und wird in enger Abstimmung zwischen den ärztlichen Vertretern der Kliniken und den Datenintegrationszentren entworfen. Zusätzlich kann auf die Expertise des Anwendungsfalls „Ophthalmologie und Diabetes“ des Digital Innovation Hub MiHubX zurückgegriffen werden.  Der Inhalt des Kerndatensatzes wird sich auf Daten aus den MII-Basismodulen (Demographie, Diagnose, Prozeduren, Medikation) beziehen und umfasst augenspezifische Daten wie Visus, Tonometrie oder Refraktionsangaben sowie bildgebende Metadaten hauptsächlich aus der Optischen Kohärenztomographie. Technisch wird der Datensatz in FHIR implementiert.

Eine ETL-Pipeline wird die erforderlichen medizinischen Elemente aus den Krankenhaussystemen in ein lokales FHIR-Repositorium an jedem DIZ exportieren. Dieser Prozess erfordert ein lokales TTP, das in jedem DIZ bereits während der ersten Förderphase der MII eingerichtet wurde. Darüber hinaus sollen Metadaten der Bilddaten gespeichert werden, sodass Abfragen zu Bildern durchgeführt und Bilddaten im Bedarfsfall angefordert werden können.

AP04 – Datenaustausch-Infrastruktur und Patient Reported Outcomes

Die technische Infrastruktur von EyeMatics sieht vor, dass die lokalen Datenintegrationszentren die Kerndatensätze aus den primären Krankhaussystemen extrahieren und in lokalen FHIR-Repositorien speichern. EyeMatics wird zusätzlich Patient Reported Outcomes (PRO) erheben, die über ein elektronisches System erfasst und ebenfalls in den lokalen FHIR-Repositorien gespeichert werden. Ein lokales TTP ermöglicht die Datensatzverknüpfung.

Zum Austausch von Daten über die Standorte hinweg, soll als Basis das im Rahmen der MII entwickelte Data Sharing Framework (DSF) verwendet werden. Eine föderierte Treuhandstelle pseudonymisiert und verknüpft dabei die Datensätze, sodass ein datenschutzkonformer standortübergreifender Datenaustausch gewährleistet werden kann.

AP05 – Klinischer Demonstrator

Dieses Arbeitspaket besteht aus der Entwicklung und Implementierung eines für die UC geeigneten Dashboards. Ein wichtiger Aspekt ist die Berücksichtigung und Beteiligung der Endnutzer. Eine enge Zusammenarbeit und ein Feedback-Prozess mit den Klinikern ist unerlässlich. Dazu gehört insbesondere eine Bewertung der Benutzerfreundlichkeit. Basierend auf den Bemühungen von AP03 und AP04 sollten lokal im DIZ verfügbare Patientendaten und aggregierte Daten von anderen Standorten in einer kombinierten Form dargestellt werden. Aufgrund des Zugriffs und der Darstellung von sensiblen Patientendaten müssen hohe Anforderungen an Datensicherheits- und Zugriffskonzepte erfüllt werden. Den Abschluss dieses Arbeitspaketes bildet die Verteilung der hier entwickelten Softwarelösung an die Partner.

AP06 – Analytik und Biomarker

Ziel dieses Arbeitspakets ist die Entwicklung von Instrumenten der KI zur Überwachung und Vorhersage des Krankheitsverlaufs und des Therapieansprechens auf der Grundlage des Kerndatensatzes und der Rohdaten der optischen Kohärenztomografie (OCT), der wichtigsten Bildgebungsmethode bei der IVOM-Behandlung. Dazu gehört auch die Modellierung auf Patientenebene über klinische Standorte hinweg. Die daraus resultierenden Modelle werden für die Entdeckung von Biomarkern verwendet, die auf den Therapieerfolg hinweisen. Wir werden mit lokal verfügbaren Daten beginnen und über die AP04-basierte Infrastruktur Daten von verschiedenen Standorten hinzufügen. Es werden standortspezifische Unterschiede untersucht.

AP07 – Rollout

Mit diesem Arbeitspaket soll die Übertragbarkeit der im Projekt entwickelten Infrastruktur nachgewiesen werden. Die Rollout-Partner werden die entwickelten Anwendungen installieren und die entwickelten Prozesse etablieren. Dies umfasst sowohl die Rekrutierung von Patienten über den Broad Consent als auch die funktionierende ETL-Pipeline mit Datenaustauschverbindung.

AP08 – Evaluation der Gesundheitsversorgung

Ziel dieses Arbeitspakets ist die Entwicklung eines maßgeschneiderten Fragebogens zur Messung der Patient Reported Outcomes (PROMs), der den Anforderungen von Patienten mit Sehschwäche, die sich einer IVOM-Therapie unterziehen, und der medizinischen Informatikinfrastruktur entspricht. Qualitätsindikatoren der Behandlung (Behandlungslatenzzeit, Häufigkeit der Überwachung und Behandlung, Therapietreue und -beständigkeit, medizinische Ergebnisse) werden während des Studienzeitraums sowohl in den ersten Kliniken als auch nach dem Roll-Out von EyeMatics überwacht.